In der Philosophie wird Pflicht in der Tragweite (absolute und relative, assertorische und hypothetische, allgemeine und besondere, notwendige und bedingte), Formal (positive und negative, präzeptive und prohibitive) und Inhalt (Pflichten der Gerechtigkeit (Tugendpflichten) und der Güte oder Liebe) unterschieden. In diesem Blogeintrag geht es um die negative und positive Pflicht, ihre praktische Anwendung sowie Schwierigkeiten.

Wortbedeutung
Zuerst zur Definition des Begriffs „Pflicht“, hierzu verwenden wir die Erklärung des „Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe„ von Friedrich Kirchner (1848-1900).
| Pflicht (officium), eigtl. Sorge, Pflege, Dienst (vom ahd. phlegan), heißt allgemein soviel als Obliegenheit. Eine Pflicht setzt ein Subjekt, welches eine Aufgabe vorschreibt, und ein anderes, welchem die Aufgabe erteilt wird und das sowohl des Gehorsams wie des Ungehorsams fähig ist, voraus. In engerer Bedeutung ist Pflicht soviel als sittliches Gebot. Die Notwendigkeit, welche die Pflicht dem Menschen auferlegt, ist hiernach keine nur äußerliche oder physische, sondern eine innerliche, moralische; der Mensch muß nicht die Pflicht erfüllen, sondern er soll sie erfüllen. Dasjenige, was ihn verpflichtet, ist im allgemeinen die Vernunft, das Gewissen, der Charakter und im einzelnen das psychologische Motiv seines Willens, die alle natürlich in Wechselwirkung mit den äußeren Umständen des Lebens stehn. So erwächst die Pflicht aus Vernunft und Erfahrung, Anlage und Erziehung, Notwendigkeit und eigenem Willen, Zwang und praktischer Freiheit. |
Bei einem so geläufigen Begriff, der auch im Alltag täglich vorkommt (wie Buchführungspflicht in Unternehmen, Lernpflicht in der Ausbildung, Sorgfaltspflicht im öffentlichen Dienst, Zivilrecht oder Strafrecht, usw.), kommt vielleicht die Frage auf warum es notwendig ist diesen so genau zu definieren.
Da wir über ein philosophisches Thema schreiben müssen wir uns erst sicher sein, dass wir alle auf derselben Frequenz kommunizieren und die Definition soll diese etablieren. Entweder kann dann die Definition an sich kritisiert werden oder wie sie von dem Autor oder der Autorin interpretiert wurde. Schlussfolgerungen können dann auch eher nachvollzogen werden wenn der Inhalt kohärent ist. Nun kommen wir als zum Inhalt.
Positive und Negative Pflichten
Bei der positiven Pflicht geht es darum eine bestimmte Handlung auszuführen, wohingegen eine negative Pflicht darin besteht eine bestimmte Handlung nicht auszuführen. In Prinizip geht es also um das Tun oder Unterlassen einer Handlung.
Die Quelle die ich benutze gibt hierzu ein einfaches Beispiel an zur verbildlichung:
„Ich kann zum Beispiel die positive Pflicht haben, meinem kleinen Bruder von meiner Tafel Schokolade etwas abzugeben. Eine negative Pflicht wäre in diesem Zusammenhang, ihm seine Süßigkeiten nicht wegzunehmen.“ (Lehrerfortbildung BW)
Folglich dient die positive Pflicht zur Verbesserung einer Situation und die negative Pflicht der Nichtverschlechterung. Wenn ersteres also unter gewissen Umständen nicht geht (um auf das Beispiel zurückzukommen: die Tafel Schokolade (oder Schokoladenkuvertüre) wurde vielleicht im Rahmen einer Weihnachtsspenden Aktion* der Schule gekauft, wo sie mit anderen Sachen dann eingepackt und an Bedürftige innerhalb des Landes oder ins Ausland verschickt wird), dann greift die negative Pflicht.
*In meiner Zeit auf der Berufs- und Wirtschaftsschule gab es die Johanniter-Weihnachtstrucker Aktion in der die Spenden innerhalb der Klasse organisiert wurde wenn sie sich dazu bereit erklärte.
Verfahren in der Praxis
Ob es nun eine auferlegte oder freiwillig angenommene Pflicht (z. B. in einem Verein oder Nichtregierungsorganisation), eine moralische Pflicht (wie den Bedürftigen helfen) oder eine Berufspolitische Pflicht ist, die Vorgehensweise bleibt gleich:
- Bestandsaufnahme der Situation die Sie vor sich haben (detailierte Darstellung).
- Ziele formulieren die zu erfüllen sind zur Verbesserung der Situation und Grenzen setzen die zur Nichtverschlechterung führen (es kann durchaus sein, dass nur letzteres Priorität hat wenn die Umstände keine Verbesserung erlauben wegen ein Mangel an Ressourcen von Zeit bis Geld oder äußerlichen Beschränkungen auf die man keinen Einfluss hat).
- Ressourcenplanung: was muss getan werden um die Verbesserung zu erzielen und was muss verhindert werden um eine Verschlechterung abzuwenden?
- Falls dennoch eine Verschlechterung eintreten sollte, was ist notwendig um eine Milderung der Umstände herbeizuführen?
Je nachdem auf welcher Ebene man sich in der Hierarchie befindet (oder es gleichgestellt unter Bürgern durch eine Volksinitiative oder Projekte die gemeinschaftlich organisiert werden können – dazu zählen auch Demonstrationen die auf politische Trägheit oder Vernachlässigung bestimmter Themen aufmerksam macht), hat man mehr oder weniger Einfluss auf die Entwicklung und damit inwieweit sich was verbessert oder verschlechtert.

Die vier verschiedene Pflichtarten erfolgen meiner eigenen Einteilung, Überlappungen werden aber eher die Regel als die Ausnahme sein. So kann eine auferlegte Pflicht mit einer moralischen Pflicht in Konflikt geraten. So sind z. B. durch ungewöhnlich lange trockene Phasen die Erntebeträge eines Landwirten zurückgegangen während es gleichzeitig einen Anstieg an Heuschrecken gab; der Landwirt muss aber einen Mindestbetrag erzielen um zur Ernährungssicherheit beizutragen weshalb er verstärkt auf Pestizide setzt was wiederherum nicht nur die Schädlinge, sondern auch Kollateralschäden an anderen Tieren und Pflanzen verursacht. Die auferlegte Pflicht als Landwirt gerät also mit seiner moralischen Pflicht zur Nachhaltigkeit in Konflikt, wobei der drohende Mangel – vor allem wenn es noch dazu in einem ärmeren Land ist – eine Prioritätensetzung forciert wenn es keine Alternativen dazu gibt.
Damit kommen wir auf den Teil zurück in der Begriffserklärung:
Dasjenige, was ihn verpflichtet, ist im allgemeinen die Vernunft, das Gewissen, der Charakter und im einzelnen das psychologische Motiv seines Willens, die alle natürlich in Wechselwirkung mit den äußeren Umständen des Lebens stehn.
Schluss
Die oben geschilderte Situation mit dem Landwirt ist natürlich eine Extremsituation in der zwischen einer leichten Verbesserung (der Mindestbetrag zur Ernährungssicherheit) und einer Nichtverschlechterung (erhalt der Artenvielfalt) in Konflikt zueinanderstehen.
Bei der Vorgehensweise ändert sich jedoch nichts:
Auferlegte Pflicht (Beruf: Landwirt)
Die Bestandaufnahme ist der Verlust der letzten Jahre und die derzeitigen Gefahren.
Da das Ziel die Ernährungssicherheit ist, muss der Betrag zur Verbesserung Höhe x haben.
Um eine Verbesserung zu erreichen, müssen mehr Pestizide eingesetzt werden.
Daher: Aufforderung etwas zu Tun.
Moralische Pflicht (Nachhaltigkeit)
Die Bestandaufnahme nimmt auch den Artenschwund der letzten Jahre zur Kenntnis.
Hier ist das Ziel die Artenvielfalt nicht zu gefährden, also eine Nichtverschlechterung.
Um eine Nichtverschlechterung zu erreichen dürfen keine Pestizide verwendet werden.
Daher: Notwendigkeit der Unterlassung.
Da in diesem Fall nicht nur wirtschaftlich gerechnet wird, da ich die Ernährungssicherheit miteinbezogen habe, kann es auch mit der moralischen Pflicht harmonieren (öffentliche Gesundheit durch adäquate Lebensmittelversorgung) während es mit einer anderen moralischen Pflicht (die der Nachhaltigkeit) in Konflikt gerät.
Situationsbedingtes handeln führt manchmal zu suboptimalen Entscheidungen.
Im Kontext der lokalen Gemeinschaft könnten hingegen Wiesen für Insekten angelegt werden damit sie sich ungestört dort entfalten können, dies wäre dann eine Minderung.
Wie es auch in der anfangs erwähnten Quelle aus dem Beispiel mit dem Kind heißt:
„Positive Pflichten gegenüber den Armen in der Welt sind zum Beispiel die Pflichten ihnen in ihrem Elend zu helfen. Da es uns gut geht und wir von der bestehenden Weltordnung profitieren, müssen wir den Bedürftigen helfen.
Unsere Pflicht, die Armut zu bekämpfen, kann jedoch auch auf negativen Pflichten beruhen: Wir dürfen die Armen nicht schädigen. Uns geht es deshalb so gut, weil wir von der bestehenden Weltordnung profitieren, die uns zu Lasten der Armen bevorzugt. Das heißt, wir tun ständig ohne es zu wissen etwas, das den Zustand der Armen verschlechtert. Durch diese Pflichtverletzung schulden wir den Armen Hilfe, um den von uns verursachten Schaden auszugleichen.“
Wenn also weder die positiven noch negativen Pflichten erfüllt werden können, so ist ein Ausgleich das mindeste was wir tun können – oder Minderung, wie ich es genannt habe.
Quellen
Wörterbuch der philosophischen Grundbegriffe
https://www.textlog.de/kirchner/
Sorgfaltspflicht
https://www.juraforum.de/lexikon/sorgfaltspflicht
Was sind positive und negative Pflichten?
https://lehrerfortbildung-bw.de/u_gewi/ethik/gym/bp2016/fb5/2_exp/3_pogge/2_hilfen/
Johanniter-Weihnachtstrucker
https://www.johanniter.de/juh/weihnachtstrucker/
Quellen zum Beispiel
Nach der Hitze kommen Heuschrecken
https://www.derstandard.at/story/2113894/nach-der-hitze-kommen-heuschrecken
Pestizide gefährden die biologische Vielfalt
https://www.bund.net/umweltgifte/gefahren-fuer-die-natur/
