
Einführung
Aristoteles war ein griechischer Philosoph und Universalgelehrter der von 384 v. Chr. bis 322 v. Chr. gelebt hat. Bekannt ist er für den Syllogismus, das aristotelische Konzept der Wissenschaften, sowie den zwei logischen Grundprinzipien: Das Prinzip des ausgeschlossenen Widerspruchs und das Prinzip des ausgeschlossenen Dritten (tertium non datur).
In diesem Eintrag geht es um seine Mesotes-Lehre, bzw. „die Lehre von der Tugend als Mitte“, und welche Bedeutung sie in der heutigen Zeit hat.
Die Mesotes Lehre – Die Lehre von der Tugend als Mitte
Im seinen Buch „Nikomachische Ethik“ erläutert Aristoteles das Verfahren um die rechten Tugenden für sein Leben zu finden. Es ist in 10 Teile (PDF) unterteilt.
Aristoteles behauptet, dass die Mitte zwischen einem doppelten fehlerhaften Habitus (= Charakter) liege. Diese seien die Fehler des Übermaßes und des Mangels.
So heißt es: „Deshalb ist die Tugend nach ihrer Substanz und ihrem Wesensbegriff Mitte; insofern sie aber das Beste ist und alles gut ausführt, ist die Äußerstes und Ende.“
In verständlicheren Worten: Das Mäßige ist eine Tugend; die Extremen „zu wenig“ und „zu viel“ sollten vermieden werden.
Es wird jedoch auch erklärt, dass bestimmte Handlungen und Affekte keine Mitte besitzen. Dazu gehören bei den Affekten die Schadenfreude, Schamlosigkeit und Neid; bei den Handlungen sind es Ehebruch, Diebstahl und Mord. Bei den genannten Beispielen könne es keine Mitte gegen, da sie von Grund auf schlecht seien und es daher kein „zu viel“ oder „zu wenig“ gäbe (Beispiel: man kann einen Menschen nicht „zu wenig“ ermorden, oder eine Mitte des Mordens finden, da die Tat an sich eine Extreme ist und daher schlecht).
In anderen Worten: Verhaltensweisen die in letzter Konsequenz gemeinschaftsgefährdend sind, können keine mäßige Mitte – und damit nichts Gutes und Tugendhaftes – an sich haben.
Andere Eigenschaften wie Tollkühnheit gehen einher mit einem zu geringen Maß an Furcht, während Feigheit ein zu großes Maß an Furcht beinhalte. Beide gefährden damit sich und andere. Das Mittelmaß wäre Tapferkeit (setzt Leidensfähigkeit voraus, aber auch Rücksicht auf andere).
Wie schon oben kurz erwähnt und damit impliziert, nennt Aristoteles die jeweilige Mitte „Tugend“. Es ist ausschließlich auf die Lebenspraxis und Alltagstauglichkeit bezogen, wie ein Hinweis des Philosophen zeigt:
„Übermäßige Ausübung von Sport vernichtet die Kraft und ebenso zu wenig Sport. Ebenso zerstören ein Zuviel oder Zuwenig an Speise und Trank die Gesundheit, das Angemessene dagegen schafft die Gesundheit, mehrt sie und erhält sie.“
Mit all dem Wissen im Hintergrund ist es nun wichtig darauf hinzuweisen, dass die Mitte kein fixierter Punkt auf einer Strecke ist (d.h. der Tollkühne etwas mehr und der Feige etwas weniger Angst benötige, bis sie sich in der Mitte treffen). Es gibt keine Quantifizierung, weshalb die Mitte nicht arithmetisch (mathematisch) bestimmt werden kann. Vielmehr handelt es sich bei der Mitte um etwas, die jeder mithilfe seiner praktischen Vernunft finden muss. Je nach Charakter oder Situation kann es deshalb etwas mehr zu dem einen oder anderen Extremen neigen.
Addendum (12.10.2022, um 18:45 Uhr)* Aristoteles Nikomachische Ethik: 2. Buch, Kapitel 6, Bestimmungen zur Begriff der Mitte (Quelle: https://www.textlog.de/33438.html) |
„Es ist mithin die Tugend ein Habitus des Wählens, (1107a) der die nach uns bemessene Mitte hält und durch die Vernunft bestimmt wird und zwar so, wie ein kluger Mann ihn zu bestimmen pflegt. Die Mitte ist die zwischen einem doppelten fehlerhaften Habitus, dem Fehler des Übermaßes und des Mangels; sie ist aber auch noch insofern Mitte, als sie in den Affekten und Handlungen das Mittlere findet und wählt, während die Fehler in dieser Beziehung darin bestehen, dass das rechte Maß nicht erreicht oder überschritten wird. Deshalb ist die Tugend nach ihrer Substanz und ihrem Wesensbegriff Mitte; insofern sie aber das Beste ist und alles gut ausführt, ist sie Äußerstes und Ende. Doch faßt nicht jede Handlung oder jeder Affekt eine Mitte, da sowohl manche Affekte, wie Schadenfreude, Schamlosigkeit und Neid, als auch manche Handlungen, wie Ehebruch, Diebstahl und Mord, schon ihrem Namen nach die Schlechtigkeit in sich schließen. Denn alles dieses und ähnliches wird darum getadelt, weil es selbst schlecht ist, nicht sein Zuviel und Zuwenig. Demnach gibt es hier nie ein richtiges Verhalten, sondern immer lediglich ein verkehrtes, und das Gute und Schlechte liegt bei solchen Dingen nicht in den Umständen, wie wenn es sich z. B. beim Ehebruch darum fragte, mit wem und wann und wie er erlaubt sei, sondern es ist überhaupt gefehlt, irgend etwas derartiges zu tun. Ebensowenig nun darf man bei der Ungerechtigkeit, Feigheit und Zuchtlosigkeit nach einer Mitte oder nach einem Zuviel oder Zuwenig fragen. Denn so bekämen wir eine Mitte des Zuviel und Zuwenig und ein Zuviel des Zuviel und ein Zuwenig des Zuwenig. Wie es vielmehr bei der Mäßigkeit und dem Starkmut kein Zuviel und Zuwenig gibt, weil die Mitte gewissermaßen Ende und Äußerstes ist, so gibt es auch in jenen Dingen keine Mitte und kein Zuviel und Zuwenig, sondern wie man sie auch tun mag, immer ist es gefehlt. Denn es gibt beim Zuviel und Zuwenig überhaupt keine Mitte, wie bei der Mitte kein Zuviel und Zuwenig.“ |
Bedeutung für die moderne Gesellschaft
Da sich Aristoteles Lehre auf den Alltag und Lebenspraxis beschränkt hat sie an Bedeutung kaum verloren. Nach wie vor sind wir mit der richtigen Dosierung von allerlei Aktivitäten konfrontiert – vom Sport bis zur Ernährung. Und während es eindeutige Grenzen gibt, also Gemeinschaftsgefährende Akte wie Mord, existieren weniger klare Grenzen wenn es um den eigenen Konsum (z. B. Nahrung) oder Aktivität (z. B. Sport) geht.
Hinzu kommen die individuellen Unterschiedlichkeiten – die einen nehmen schneller zu beim essen, andere scheinen so viel essen zu können wie sie wollen ohne merklich an Gewicht zu zunehmen. Dies bestätigt jedoch auch, dass die Mitte nicht arithmetisch bestimmt werden kann.
Folglich kommen wir zur „praktischen Vernunft“, der Schlüssel mit welchen jedes Individuum seine Mitte finden kann. Dies geht fließend einher mit der Kritik an Aristoteles Mesotes-Lehre.
Kritik und Lösungsansatz
Die Mesotes-Lehre hat daher von Natur aus eine vage Beschreibung der Mitte. Während die Extremen deutlich abgegrenzt werden können, wird die Definierung der restlichen trüber desto mehr man sich versucht der Mitte anzunähren. So kann die Mitte jemand anderem (wenn es zum Beispiel wieder um Ernährung geht) des eigenen Extreme sein.
Auch wenn Aristoteles rät sich mit der praktischen Vernunft voranzutasten, so kann man sich fragen was vernünftigt ist. Sich rein philosophisch anzunähern ist zwar möglich, doch es wird sehr wahrscheinlich nur in noch größeren Diskussionen enden und nicht die gewünschte Frage des alltäglichen Leben beantworten.
Anhand der Kritik lässt sich aber zumindest ein Ansatz für eine Lösung finden:
Wir als Individuum haben nur eine Sichtweise, selbst wenn wir nach der praktischen Vernunft handeln. Neben der Selbstreflektion gibt es aber auch die Einbeziehung von äußeren Ratschlägen. So kann durch ein Besuch beim Arzt eine neue und objektivere Sichtweise eingeholt werden, oder man fragt Freunde/Verwandte/Familie die Erfahrung bereits gesammelt haben. Auch wenn die Maßnahmen des Letzteren nicht 1:1 auf sich selber übertragen werden kann, so können dennoch die gewonnen Informationen dazu verwendet werden das Ideale Maß zu finden.
Eine Vorgehensweise wie bei der Trial-and-Error-Methode (Versuchs-und-Irrtums-Methode). Bei anderen wird es länger dauern, bei anderen kürzer.
Um sich nicht zu ungesund zu ernähren helfen auch Ratschläge von Gesundheitsbehörden an denen man sich orientieren kann. Anhand von seriösen Quellen und der eigenen Gestaltung kann ein eigener Grundsatz kreiert werden.
Mit dem erörterten Lösungsansatz ist es dann vielleicht sogar möglich jene praktische Vernunft zu erreichen, von der Aristoteles geschrieben hat.
Zusatz: Entstehung des Massenkonsums in der heutigen modernen Gesellschaft
Der heutige Massenkonsum trägt zu dem Übermaß bei, und dieser kann auch in letzter Konsequenz als Gemeinschaftsgefährdend betrachtet werden da er die Umwelt zerstört und der Drang nach Billigprodukten und schnellen Service schädliche Arbeitsbedingungen in dritten Weltländern – und selbst in Industrienationen wie die USA und Deutschland – hervorruft.
Wie genau der Massenkonsum jedoch entstand, habe ich hier zusammengefasst:
Die Entstehung des Massenkonsums
- 18. Jahrhundert: Luxusgüter nur für den Adel erhältlich; Bevölkerung Europas kauft nur das auf dem Wochen- und Jahrmarkt was sie braucht
- Großbritannien im frühen 18. Jahrhundert: aufblühende Industrie führt zu mehr Jobs, das wiederherum stattet die Arbeiter und Handwerker mit mehr Geld aus; mit der wachsenden Kaufkraft steigt auch die Konsumnachfrage (Güter wie Schnaps, Bier, Talg, Seife und Tee -> Massenverbrauch entsteht)
- 1786: erste Modezeitschrift in Weimar wird herausgebracht, genannt: „Journal des Luxus und der Moden“ -> verbreitet sich schnell
- Mitte des 19. Jahrhunderts wird Werbung für den Absatz immer wichtiger
- 1855: erste Litfaßsäule wird in Berlin aufgestellt (viel Werbung auf einem Platz)
- Ende des 19. Jahrhunderts: erste große Kaufhäuser in Berlin, Hamburg, u.a.o.
- Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wird die Werbung simpler (weniger Text, und einfache Symbole) -> Waren werden raffinierter Angeboten, Schaufenster werden wichtiger
- Nach dem 1. Weltkrieg, den Krisenjahren in den 1920ern, und den zweiten Weltkrieg: Massenkonsum entsteht nach jahrelangen Verzicht
- Perlonstrümpfe und Kühlschränke sind nicht mehr Luxus, sondern Massenware; internationale Produkte wie Coca Cola kommen auf den Markt (Globalisierung des Konsums)
- 1970er: Plastik ist allgegenwärtig, Massenverbrauch und Müll steigt
- 1980er: Gegenströmung entwickelt sich zu mehr Nachhaltigkeit (Hippie-Bewegung)
- 1990er: Ende der Dekade kommt das World Wide Web, und damit der Onlinehandel und eine neue Dimension des Massenkonsums (Globalisierung des Konsums hat Einzug in die Wohnstuben gefunden mit dem Internet)
- Deutschland Ausgabe für Waren 2019: 72 Milliarden Euro, Tendenz steigend
- Quelle: : https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/wirtschaft/konsum/index.html
Schluss
Auch ich habe mir schon vor längerem vorgenommen eine Mäßigkeit zu erreichen. Das Ziel habe ich noch lange nicht erreicht, doch wie alles ist dies ein Prozess der Zeit braucht.
Bezüglich des Massenkonsums in der jetztigen wirtschaftlichen Realität: dieser ist ein großes systemisches Problem. Es kann nicht auf das Individuum allein reduziert werden.
*Anmerkung: Mit großer Freude darf ich Ihnen mitteilen, dass ich endlich eine Online-Version zum Nachlesen gefunden habe. Hier können Sie alle 10 Bücher nachlesen:
https://www.textlog.de/aristoteles-ethik.html
Falls Sie die Nikomachische Ethik in Buchform erwerben möchten, dann empfehle ich die Ausgabe vom Anaconda Verlag welche diesselbe Übersetzung von Eugen Rolfes hat:
ISBN: 978-3-7306-0988-0
Falls Sie schon meinen Artikel über Sokrates (Übers Gutsein und Schlechtsein) gelesen haben, dann erkennen Sie die Quelle wieder. Sokrates sei Dank habe ich auch heute sofort nachgeschaut ob die Website Aristoteles Nikomachische Ethik hat – und siehe da: so ist es.
Nun gut, das Addendum ist spät. Als ich den Eintrag hier geschrieben habe wusste ich von dieser leider nicht und habe notdürftig die Kapitel und Unterkapitel zugänglich machen wollen (im Buch selber heißen sie nur „sechstes Kapitel, siebtes Kapitel, usw.“).
Noch einen schönen Morgen, Mittag oder Abend!