Der 20-jährige Einsatz der USA in Afghanistan geht zu Ende, und innerhalb weniger Wochen haben die Taliban sogar Kabul eingenommen. Wie es dazu kam und die Fehler die gemacht wurden während der Evakuierung sind Bestandteil dieses Eintrags. Zum Schluss kommen noch Lösungsansätze.

Jüngste Geschichte
1933-1973: König Mohammed Sahir Shah regiert Afghanistan. Während seiner Regierungszeit durften Frauen ohne Schleier auf die Straße gehen oder in Kosmetiksalons gehen. In anderen Ländern mit islamischen Glauben war dies Verboten. Das Leben war viel freier. Im Jahr 1973, als sich der König nicht im Land befand, wurde er von Soldaten entmachtet. Sein Cousin Mohammed Daoud Khan steckte hinter der Aktion und übernahm fortan die Macht im Land.
1979: Die Regierung von Mohammed Daoud Khan war stark umstritten und wurde auch heftig bekämpft. Am 15. Februar intervenierte die Sowjet Union und schickte Soldaten nach Afghanistan.
1979-1989: Der Konflikt mit der Sowjet Union dauerte 10 Jahre lang (unterstütz von: Ostdeutschland (DDR) und Indien). In dem Krieg kamen 18.000 afghanische Soldaten ums leben, 14.453 sowjetische und 53.753 wurden verwundet. Wie viele von den USA-unterstützen Mudschahedin umkamen ist nicht bekannt (andere Unterstützer: Volksrepublik China, Vereinigtes Königreich, Pakistan, Saudi-Arabien, Israel, Ägypten und Westdeutschland).
1989-1992: Bürgerkrieg. Nach dem Abzug der Sowjet Union gingen die kämpfe weiter zwischen zwei afghanischen Gruppen: die Nordallianz und die Taliban. Viele Städte, darunter Kabul, wurden dabei zerstört.
1996-2001: Im Jahr 1996 übernahmen die Taliban die Macht in Afghanistan und setzten ihr theokratisches System um. So hatten Frauen keine Rechte und Mädchen durften nicht zur Schule gehen. Die Taliban taten auch nichts um die zerstörten Häuser wieder aufzubauen.
2001: Nach den Anschlägen am 11. September wurden US-amerikanische Soldaten nach Afghanistan geschickt um gegen die Taliban zu kämpfen. Grund war, dass die Taliban Osama Bin-Laden unterstützt haben sollen und er sich mit seiner Terrororganisation Al-Kaida in Afghanistan versteckt. Mit der Nordallianz vertrieben die stationierten US-Truppen die Taliban. Am 2. Mai, 10 Jahre später, wurde Osama Bin-Laden in der Operation Neptune Spear im Nachbarland Pakistan getötet.
2002: Die seit dem 22. Dezember 2001 amtierende Regierung unter Hamid Karsai erhielt Unterstützung von Soldatentruppen aus verschiedenen Mitgliedsländern der UN. Neben der Bekämpfung von Terroristen und Kämpfer Taliban, sollten sie auch die Menschen vor gefährlichen Waffen wie Minen schützen.
2004: Am 4. Januar trat die neue Verfassung von Afghanistan in Kraft. Dort stand auch, dass Frauen und Männer die gleiche Rechte haben.
Am 9. Oktober wurde Hamid Karsai zum Präsidenten gewählt.
2014: Ashraf Ghani Ahmadzai wird Präsident. Er gewann die Wahl gegen Abdullah Abdullah, welcher mittlerweile Chef der Regierung ist.
2018: Von den Taliban aus werden Gespräche mit den USA initiert. Die USA wollen ihre Truppen aus Afghanistan abziehen, aber nur unter bestimmten Bedingungen (Friedensgespräche).
2021: Der endülgtige Abzug der US-Soldaten aus Afghanistan wurde bekannt gegeben, nach 20 Jahren Besetzung. Bis zum 11. September sollen alle Soldaten das Land verlassen haben, mitsamt anderen Ländern wie Deutschland die auch in den letzten Jahren die Regierung unterstützt haben. (Stand: 17.04.2021)
Der Vormarsch der Taliban ereignet sich jedoch sehr schnell, und zum Zeitpunkt dieses Eintrags haben die Taliban auch schon Kabul eingenommen und befinden im Präsidentenpalast. Schon jetzt zeichnen sich Fluchtbewegungen ab. (Stand: 17.08.2021)
(Zeitstrahl von ZDF logo mit eigenen Verfeinerungen)
Rückzug aus Afghanistan…
14. April 2021: Präsident Joe Biden verkündet die Entscheidung sich aus Afghanistan zurückzuziehen, er sagt jedoch dass die Frist von den Taliban alle Truppen am 1. Mai abzuziehen nicht erfüllt werden kann. Am 11. September desselben Jahres sollte stattdessen sein. „Es ist Zeit, den längsten Krieg Amerika’s zu beenden“, sagte er.
Die restlichen 3,500 stationierten Truppen sollen zurückgezogen werden unabhängig davon ob ein Fortschritt der Friedensgespräche innerhalb Afghanistan erreicht wird oder die Taliban ihre Angriffe auf afghanische Sicherheitskräfte und Zivilisten reduzieren.
Auch die NATO wird sich aus Afghanistan zurückziehen. Biden erklärt, dass Washington weiterhin die afghanischen Sicherheitskräfte assistieren wird und den Friedensprozess unterstützen wird. Die Taliban weigern sich an irgendeiner Art von Konferenz über Afghanistan’s Zukunft teilzunehmen bis alle ausländischen Truppen das Land verlassen haben. (Übersetzt von cfr Timeline)
…und der Siegeszug der Taliban
Der Vormarsch und die Stärke der Taliban wurde unterschätzt, und die Fähigkeiten der afghanischen Armee wurden „gnadenlos Überschätzt“ so John Sopko, der US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans. Wie es im Artikel der Zeit heißt:
„Noch vor wenigen Tagen hatte es in einer Einschätzung der US-Geheimdienste geheißen, Kabul könne noch mindestens drei Monate gehalten werden. Doch dann rückten die Taliban offenbar ohne nennenswerten Widerstand vor. Am Sonntag besetzten sie in Kabul den Palast des bisherigen Präsidenten Aschraf Ghani, er war zuvor ins Ausland geflohen.“
Auch die Bundesregierung räumt ein, wie ein Sprecher des Auswärtigen Amtes sagt:
„Unsere Einschätzung, wie sich die Lage entwickeln würde, war falsch“, und es gebe auch nichts zu beschönigen. Der Regierungssprecher Steffen Seibert behauptet, man sehe auch an den Reaktionen der anderen Staaten, dass kaum jemand mit der rasanten Entwicklung und der schnellen Preisgabe der Hauptstadt Kabul gerechnet habe. Darunter sogar haben dies „viele afghanische Stimmen“ nicht erwartet.


Zwar haben die USA $83 Milliarden in den 20 Jahren investiert für die Aufrüstung und Ausbau der afghanischen Streitkräfte, doch dabei haben sie sich an der eigenen Strukur ihrer Streitkräfte orientiert. In der Praxis bedeutet dies: hohe Abhängigkeit von Lufunterstützung und High-Tech Kommunikation, dies jedoch in einem Land in dem nur um die 30% der Bevölkerung eine zuverlässige Stromversorgung haben.
Zum Artikel von die Zeit hier.
Fehler, Verzögerungen und Verplanung
Wie Sie sicher schon in den Nachrichten gehört haben, lief die Evakuierung auch sehr holprig ab und geht noch immer schwerfällig voran, hier einige Beispiele.
Nr. 1: Die deutsche Regierung schätzte die Lage in Afghanistan falsch ein.
Quelle: Tagesspiegel (15.08.2021)
Noch vor zwei Monaten hieß es vom Außenminister Heiko Maas (SPD) in Bezug auf die Ausreise von afghanischen Ortskräfte die für die Entwicklungshilfe gearbeitet haben: „All diese Fragen haben ja zur Grundlage, dass in wenigen Wochen die Taliban das Zepter in Afghanistan in der Hand haben werden. Das ist nicht die Grundlage meiner Annahmen.“
Das Auswärtige Amt ging auch davon aus, dass die Kämpfe noch länger andauern würden, und Diplomaten haben noch Hoffnung auf Verhandlungen gesetzt: „Gleichzeitig gibt es aber einen Friedensprozess zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung, der ja nicht ausgesetzt worden ist und dessen Erfolg ich auch nicht für unerreichbar halte“, Heiko Mass am 9. Juni im Bundestag. Im Juli ging die Regierung auch nicht davon aus, dass die Taliban innerhalb weniger Wochen große Teile von Afghanistan erobern würden.
Selbst bis vor wenigen Tagen wurde mit einem schnellen Sieg der Taliban nicht im Auswärtigen Amt gerechnet. So sagte Heiko Maas in einem Interview am Donnerstag, dass er bis Ende August noch Chartermaschinen nach Afghanistan schicken würde um Ortskräfte auszufliegen. Die USA, dagegen, hatten schon vorher begonnen. Doch eine Luftbrücke mit der auch Helfer der Deutschen ausgeflogen werden konnten wurde von Berlin abgelehnt.
Warum es auch so schleppend voranging: „Die afghanischen Helfer der Deutschen wurden stattdessen vor bürokratische Hürden gestellt. Gemäß einer seit 2012 geltenden Regelung mussten sie ihre individuelle Gefährdung nachweisen. […] Wer alle Kriterien erfüllte, musste für die Flugkosten selbst aufkommen – eine für viele kaum überwindbare Hürde.“
Im Juni war auch noch ein Antrag der Grünen abgelehnt worden: „Dabei hatten Union und SPD im Bundestag noch im Juni einen von den Grünen eingebrachten Antrag abgelehnt, ein Verfahren für die „großzügige Aufnahme afghanischer Ortskräfte“ einzuführen.“
Nr. 2: Warnungen der Botschaft wurden anscheinend kaum Beachtung geschenkt
Quelle: Uli Hauck, Radio-Korrespondent des SR im ARD-Hauptstadtstudio
Im Thread geht es wie folgt weiter:
„Nach Informationen des ARD-Hauptstadtstudios schrieb der stellvertretende deutsche Botschafter van Thiel in seinem Lagebericht am Freitag, „dass den dringenden Appellen der Botschaft über längere Zeit erst in dieser Woche Abhilfe geschaffen“ worden sei.
Darüber hinaus betonte der Diplomat: „Wenn das an irgendeiner Stelle diesmal schief gehen sollte, so wäre dies vermeidbar gewesen“. Die Formulierungen werfen weitere Fragen im Hinblick auf das Krisenmanagement der Bundesregierung auf.
Das Personal der Botschaft wurde gestern auf den Flughafen in Kabul verlegt. Am Freitag hatte Bundesaußenminister Heiko Maas, SPD, betont, man habe sich seit Wochen auf diese Situation vorbereitet.
Wie das ARD-Hauptstadtstudio @ARD_BaB aus Sicherheitskreisen erfuhr, wurde erst in der vergangenen Woche darüber gesprochen, unter welchen Bedingungen ein A400M-Transportflugzeug der Bundeswehr @BMVg_Bundeswehr für eine Evakuierung zur Verfügung gestellt werden könnte.“
Nr. 3: Vernachlässigung von Ortskräften auf Seiten der USA
Quelle: New York Times (15.08.2021)
Armbänder wurden am Flughafen ausgegeben um diejenigen kennzuzeichen, die mit durften (darunter Diplomaten und Auftragnehmer). Damit sind sie auch als Nichtkombattant ausgezeichnet. Jedoch war dies nicht der Fall für Millionen von Afghanen, darunter Zehntausende die den USA in ihren Bemühungen für Jahre unterstützt haben.
Somit sind sie in der Stadt sitzen geblieben ohne eine Chance auszureisen.
Nr. 4: Afghanische Wachleute, die für die Niederlanden arbeiteten, abgelehnt
Quelle: Sara de Long, Senior Dozent an der Uni York
Übersetzt: Die Botschaft hatte heute Morgen Zeit, wieder [ein Gesuch für Asyl von den] afghanischen Wächter abzulehnen die für die Niederlanden gearbeitet haben. Unter diesen Umständen.
Dies sind nur 4 Beispiele, und sehr warscheinlich gibt es noch viele weitere.
Was ist zu tun?
Das Problem ist also nun da, nun gilt es dieses zu lösen. Hier ein paar Ansätze:
- Unterstützung von Flüchtlingslagern in Drittländern.
Die Versorgung von Flüchtlingslagern in Drittländern muss gewährleistet sein. Von einer menschenwürdigen Unterkunft zu Essen und Trinken bis zur einer Möglichkeit um die schulische Bildung fortzusetzen, sollte alles abgedeckt sein. Auch die USA müssen hier mit in die Verantwortung bezogen werden, ebenso Russland (so gut wie es geht), welche beide historische Verantwortung dafür tragen. Entwicklungshilfe ist essentiell. - Klare Kommunikation mit der eigenen Bevölkerung.
Bereits jetzt warnen Politiker wie Armin Laschet (CDU) vor einer Wiederholung von 2014/2015. Hierbei wird jedoch die karge Kommunikation mit der deutschen Bevölkerung vergessen. Die Ziele müssen klar formuliert sein, die verschiedenen Seiten aufrichtig angehört werden, und Fehler eingestanden werden um diese zu vermeiden. Ebenso bedarf es ein klares Bild den Flüchtlingen zu geben, damit sie sich auf das Land einstellen können in dem sie vorübergehend (Monate, eventuell vielleicht sogar über Jahre hinweg) wohnen. - Reduzierung der Bürokratie.
Da der Vormarsch der Taliban schnell vonstatten gegangen ist, sollte nun auch das Ziel sein die Bürokratie stark zu reduzieren oder ganz abzuschalten während diesen Asylprozess. Es geht um Menschenleben – Ortskräfte ohne die der Kampf gegen die Taliban kaum oder überhaupt nicht funktioniert hätte. Diese in Sicherheit zu bringen ist nun das Mindeste was wir tun können, und es sollte nicht unnötig erschwert werden. - Suche nach Langzeit-Lösungen.
Afghanistan, sowie der Nahe Osten gesamt, haben eine lange Geschichte. Auch die koloniale Vergangenheit (vor allem Frankreich und Großbritannien in diesem Erdteil) durch ihre verantwortungslose Grenzenziehung haben zu Problemen geführt die bis heute anhalten. Nur indem Verantwortung übernommen wird und ein Problem aus verschiedenen Perspektiven gesehen wird, können auch Lösungen die langfristig halten erarbeitet werden. Von den bereits erwähnten Altakteuren bis zu den Neueren (z. B. Nachbarländer die eigene Interessen verfolgen und interveniert haben und die verschiedenen Gruppierungen innerhalb eines Landes) muss die Kommunikation und Diplomatie aufrechterhalten werden. Es wird sehr lange dauern, doch das „Pulverfass“ lässt sich in einen stabilen Tisch umwandeln.